Eine lange Recherche über einen möglichen Korruptionsfall im Norden Brandenburgs. Dort verdienen zwei Geschäftsleute mit Flüchtlingsheimen viel Geld, die Behörden scheinen sie zu fördern und wollten den Artikel gerichtlich aus dem Netz nehmen lassen, was gänzlich scheiterte. Erschienen im November 2022 in der Märkischen Allgemeinen Zeitung.
Das Geschäft mit den Heimen
Der Landkreis Ostprignitz-Ruppin (BBG) hat seit 2015 Mietzahlungen in Millionenhöhe an Besitzer von Flüchtlingsunterkünften gezahlt. Profitiert haben davon vor allem zwei Geschäftsleute, die die Objekte jeweils kurz vor der Umwidmung gekauft hatten. Kann das Zufall sein?
Von Adrian Garcia-Landa, MAZ, 18.11.2022
Die Gemüter erhitzen sich schnell beim Thema Flüchtlingsheim. Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin tobt aktuell ein Streit um die Nutzung eines ehemaligen Hotels als Flüchtlingsunterkunft.
Der Landkreis will das Heim gegen den Widerstand der Kommune durchdrücken, und auch die Einwohner sorgen sich. Hier aber geht es nicht nur um die Frage, ob es klug ist, in einem 900-Einwohner-Dorf mit wenig Infrastruktur und kaum öffentlichem Nahverkehr ein Heim für bis zu 150 Geflüchtete einzurichten. Es steht auch die Frage im Raum, wie viele Steuermillionen der Landkreis noch an die Investoren zahlen will, die dieses Heim betreiben sollen.
Es besteht der Verdacht, dass es da eine Bevorzugung von einzelnen Geschäftsleuten bei Immobiliendeals für Flüchtlingsheime gibt.
■ Seit 2015 erhielten zwei Geschäftsleute mindestens fünf Millionen Euro vom Landkreis.
■ Sie wussten auffallend oft, wo der Landkreis Heime einrichten sollte, und kauften Gebäude jeweils kurz vorher.
■ In anderen Fällen wurden sie zwischen den Landkreis und die Immobilien-Eigentümer geschaltet und verursachten Mehrkosten von über zwei Millionen Euro.
Das Hotel des Anstoßes: In der DDR ein FDGB-Heim, bis 2012 ein Ausbildungshotel. Ende 2022 kauften es zwei Geschäftsleute für 470.000 Euro, im Januar 2023 erklärte der Landkreis OPR dort ein Flüchtlingsheim einzurichten. Für eine jährliche Miete von mindestens 480.000 Euro.
20. Oktober, Flecken Zechlin. 150 Einwohner des Rheinsberger Ortsteils haben sich in einem extra aufgestellten Zelt versammelt. Die Kreisverwaltung hat zu einem Informationsabend eingeladen. Es geht um die Pläne des Kreises, aus dem früheren Hotel ein Flüchtlingsheim zumachen. Das Haus,um das es dort geht, steht keine 100 Meter entfernt: einverlassenes Hotel, auf einem Hügel Flecken Zechlins, idyllisch am Schwarzen See gelegen im staatlich anerkannten Erholungsort. Der schlichte gelbe Bau, zu DDR-Zeiten als FDGB-Heim errichtet, stand seit zehn Jahren leer.
Im Hotel will der Landkreis ein Flüchtlingsheim einrichten. Das hatte der Landkreis vor zehn Monaten verkünden lassen, als sei dies bereits beschlossene Sache. Die Leute vor Ort traf dies wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
„Die Nachricht hat uns einen Schock versetzt“, sagt eine Nachbarin. In den darauffolgenden Monaten gab es kaum weitere Informationen zu diesen Plänen, dafür wurden die Flecken Zechliner Zeugen eines bizarren Tauziehens zwischen dem Landkreis und der Stadt Rheinsberg als zuständiger Kommune. Rheinsbergs Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (BVB/Freie Wähler) wollte das Heim unbedingt verhindern, notfalls durch einen Bebauungsplan, der eine andere Nutzung vorschreibt. Landrat Ralf Reinhardt (SPD) wollte die Pläne gegen den Widerstand der Rheinsberger durchsetzen, notfalls auf gerichtlichem Weg. Mit Klagen, einstweiligen Verfügungen, Social-Media-Videos und Informationsversammlungen kämpften die Stadt Rheinsberg und der Landkreis gegen und für das Flüchtlingsheim.
Erhitzte Stimmung bei der Info-Veranstaltung
An diesem 20. Oktober nun hat der Landkreis zum Info-Abend geladen. Er will die Bürger vom Sinn dieser Flüchtlingsunterkunft überzeugen, spricht von Effizienz bei der Unterbringung von Flüchtlingen und davon, die Vorgaben für die Aufnahme von Geflüchteten zu erreichen. Eine Annäherung zwischen Landkreis und Einwohnern gelingt an diesem Abend nicht. Allenfalls konnten die Zechliner einmal tüchtig Dampf ablassen.
Während im Zelt hitzig debattiert wird, steht etwas abseits ein Mann im blauen Anzug vor großen Bildschirmen, auf denen Visualisierungen des zukünftigen Heims laufen. Es ist der Eigentümer der Hotelruine. Er sagt wenig.
Es handelt sich um einen von zwei Geschäftsleuten, die der Landrat als „langjährige Partner“ lobend erwähnte. Seit 2015 hatten diese direkt oder über Gesellschaften mehrere Flüchtlingsheime im Landkreis betrieben, bis zu vier gleichzeitig. Und für sie hat sich jeder einzelne Immobiliendeal gelohnt. Wir nennen sie Schmidtke und Peters. Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt.
Mehrere Nachbarn des Hotels in Flecken Zechlin schilderten die Besuche von Schmidtke und Peters im Gespräch mit der MAZ. Sie berichten übereinstimmend, dass Schmidtke und Peters, wenn sie kommen, in dicken Autos vorfahren und statt zu grüßen nur streng schauen. Flecken Zechliner, die am Zaun herumstehen, seien von den beiden fotografiert worden.
Das Bauschild hängt nicht, wie sonst üblich, an der Grundstückskante, sondern am Gebäude. Man kann es nur lesen, wenn man das eingezäunte und rund um die Uhr bewachte Grundstück betritt – und das darf nur, wer sich zuvor ausweist. Die Namen werden notiert.
Seit Jahren im Landkreis tätig
Schon vor ihrem Auftauchen in Flecken Zechlin waren Schmidtke und Peters im Landkreis OPR mehrmals als Immobilien-Investoren in Erscheinunggetreten – so in Luhme, Zechlinerhütte und Wusterhausen. Sie wussten offenbar oft schon vor der Öffentlichkeit Bescheid darüber, wann und wo ein Flüchtlingsheim errichtet werden sollte. Gelang ihnen dies, weil der Immobilienmarkt in Ostprignitz-Ruppin überschaubar ist und Investoren keine Probleme haben dürften, geeignete Objekte ohne irgendein so genanntes „Insiderwissen“ zu finden oder haben sie sich dieses jeweils erst verschafft?
Das Hotel in Flecken Zechlin kauften sie von einem ukrainischen Geschäftsmann im November 2021. Zwei Monate später erklärte der Landkreis, dort ein Flüchtlingsheim einzurichten.
2015 erwarben die beiden Geschäftsleute in Luhme und Zechlinerhütte, ebenfalls Ortsteile von Rheinsberg, zwei Ausbildungshotels. Wenige Wochen später machte der Landkreis daraus Flüchtlingsheime. Verkäufer war die Initiative Jugendarbeit Neuruppin (IJN). Dazu später mehr.
In Wusterhausen lagen Ende 2014 nur wenige Wochen zwischen dem Verkauf des ehemaligen Mutter-Kind-Heims an die Geschäftsleute und dessen Umwidmung zum Flüchtlingsheim durch den Landkreis. Obwohl es lange vom DRK als Heim genutzt worden war, mietete es der Landkreis von der Firma JXImmo GmbH, die Schmidtke gegründet hatte. Auf Anfrage der MAZ, warum der Landkreis nicht direkt vom DRK gemietet habe, erklärte der Kreissprecher Alexander von Uleniecki: „Die Möglichkeit, das Heim vom DRK betreiben zulassen, bestand damals nicht.“ Weitere Erläuterungen gab es nicht.
Landkreis zahlte die dreifache Miete an die Geschäftsleute
Als 2015 fieberhaft nach Unterkünften für Geflüchtete gesucht wurde, bot der Eigentümer des Heidegasthofes in Klosterheide dem Landkreis sein Haus an für eine Monatsmiete von 6000 Euro.
Der Landkreis lehnte ab, das Objekt sei dafür nicht geeignet, hieß es.
Kurz darauf pachtete Schmidtke den Gasthof vom Eigentümer und bot ihn seinerseits dem Landkreis als Flüchtlingsunterkunft an. Nun griff der Landkreis zu, obwohl Schmidtke 21 000 Euro Monatsmiete verlangte.
Der Kreistagsabgeordnete Hans-Georg Rieger bestätigt den Vorgang gegenüber der MAZ. In drei Jahren zahlte der Landkreis somit 540 000 Euro mehr Miete für das Flüchtlingsheim in Klosterheide als wenn er direkt vom Eigentümer gemietet hätte.
Auf eine entsprechende Frage teilt der Landkreis mit: „Die Zahlen können wir nicht bestätigen. Ein Problem im Umgang mit öffentlichen Geldern sehen wir nicht.“
Im Jahr 2015 habe sich die Lage im Jahresverlauf dramatisch verändert, was Auswirkungen auf den Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge und auf den Handlungsspielraum des Landkreises bei entsprechenden Vertragsabschlüssen gehabt habe. Außerdem hätte sich das ursprünglich angebotene Haus in einem nicht bezugsfähigen und damit nicht anmietbaren Zustand befunden.
Immobilien danke des Landkreises ohne Kapital gekauft
Im Sommer 2015 kauften Schmidtke und Peters zwei Gebäude in Luhme und Zechlinerhütte, beides Ausbildungshotels der IJN. Gesamtkosten: 1,8 Millionen Euro. Nach einer Anzahlung von lediglich 70 000 Euro nehmen sie die Gebäude in Besitz und vermieten sie im Oktober 2015 an den Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Wenig später wird ein Mietkauf vereinbart, um die restliche Kaufsumme von etwas über 1,7 Millionen Euro in Raten abzuzahlen. Dafür erhält die IJN zehn Prozent Zinsen.
Kein Problem für die beiden Geschäftsleute, konnten sie doch die Mieten, die der Landkreis für die Flüchtlingsheime zahlte – 17 300 Euro monatlich für Zechlinerhütte und 23 000 Euro monatlich für Luhme – als Kreditraten an die IJN weiterreichen.
Laut den Mietkaufverträgen wären die Kredite für die beiden Heime nach 49 beziehungsweise 57 Monaten abgezahlt gewesen, ohne dass die beiden Geschäftsleute über die Anzahlung hinaus eigenes Geld aufbringen müssen. Und die IJN hätte laut den Verträgen 2,2 Millionen Euro eingestrichen statt des ursprünglichen Kaufpreises von 1,8 Millionen Euro. Doch der Landkreis brach den Betrieb der Heime nach weniger als drei Jahren ab, weil die Zahl der Flüchtlinge stark zurückgegangen war. Da die erwarteten Mieteinnahmen ausfielen, zahlte der Landkreis Schmidtke und Peters Entschädigungen von 832 000 Euro für Zechlinerhütte und 782 000 Euro für Luhme. Insgesamt 1,6 Millionen Euro.
Nach MAZ-Informationen haben Schmidtke und Peters die Immobilie in Zechlinerhütte von 2017 bis 2018 schrittweise für 775 000 Euro weiterverkauft. Das Heim in Luhme verkauften sie im Juni 2018 für 549 000 Euro – also für 501 000 Euro weniger als sie drei Jahre zuvor dafür bezahlt hatten
Unterm Strich haben Schmidtke und Peters 2015 also 70 000 Euro investiert in zwei Immobilien, die ihnen zusätzlich zum Erlös beim Wiederverkauf in Höhe von 1,3 Millionen Euro noch weitere 1,6 Millionen Euro Abfindung für entgangene Mieteinnahmen einbrachten. Finanziert vom Landkreis OPR.
Was von den 1,3 Millionen Euro Verkaufserlös noch an die IJN ging zur Tilgung der letzten Raten, dazu liegen der MAZ keine Zahlen vor. Unklar ist auch, ob der Landkreis zur Zahlung der Entschädigung überhaupt verpflichtet war, denn laut Paragraf 313 BGB kann man einen Vertrag anpassen oder kündigen, wenn sich die Geschäftsgrundlage geändert hat. Dies könnte mit dem Ende der Flüchtlingskrise eingetreten sein.
Die Vereinbarungen der IJN mit den Geschäftsleuten hielt man in vielen Kaufverträgen fest, die der Redaktion vorliegen. Die Verträge zwischen den Geschäftsleuten und dem Landkreis erklärte der Landkreis als geheim und begrenzte die Akteneinsicht streng.
Landkreis schränkte Akteneinsicht ein
Einige wenige Kreistagsabgeordnete versuchten dennoch Licht ins Dunkel zu bringen und beantragten Akteneinsicht. Sie bekamen sie erst nach mehrwöchiger Wartezeit und stark eingeschränkt: Sie hatten nur eine Stunde Zeit, Akten waren vorausgewählt, nur handschriftliche Notizen wurden erlaubt. Über die Inhalte durfte man mit niemandem reden unter Androhung einer Strafe von 1000 Euro pro Dokument.
Ein Abgeordneter des Kreistages, Siegfried Wittkopf (BVB/Freie Wähler), der sich dieser Prozedur unterwarf, bemängelte: „Wenn ich mit niemandem darüber reden darf – wie soll ich dann meine Kontrollaufgabe wahrnehmen?“
Auf Anfrage bestätigt der Landkreis die Einschränkungen und betont, die Akteneinsicht erfolge „auf gesetzlicher Grundlage“. Auch die zeitliche Beschränkung sei vertretbar, so der Landkreis. Der Akteninhalt sei bei „durchschnittlicher Leistungsfähigkeit“ in dieser Zeit erfassbar. Das bezweifelt der Abgeordnete. Er fragt: „Lassen sich zehn mehrseitige Verträge in einer Stunde analysieren?“
Die MAZ fragte abermals beim Landkreis an, ob nicht durch diese Einschränkungen die Kontrollmöglichkeiten der Verwaltung durch Kreistagsabgeordnete beschnitten würden. Dazu teilt der Landkreis mit, dass die Verwaltung durch die Akteneinsicht die Kontrolle sogar noch unterstütze. Kreissprecher Alexander von Uleniecki dazu: „Die Abgeordneten wurden (…) regelmäßig von der Kreisverwaltung über die Flüchtlings- beziehungsweise Unterbringungssituationen informiert.“ Grundsätzlich hätten Vertragsinhalte einen „nicht öffentlichen Charakter“.
Geldvermehrung in Wusterhausen: 1,4 Millionen € Gewinn in 18 Monaten
Noch ein fabelhafter Immobiliendeal – aus Sicht von Schmidtke und Peters natürlich: Das 2014 durch die Firma JXImmo für 300 000 Euro erworbene Heim in Wusterhausen wurde 2020 für 732 000 Euro an die Lehmann Europa GmbH verkauft. Geschäftsführer ist dort Peters, die Gesellschafter sitzen in Singapur, in Südkorea und in der Oberpfalz. Geschäftsführer der Firma aus Singapur ist Jörg Walberer, ehemaliger Chefredakteur der Zeitschriften Gala und Hörzu. Auf Fragen antwortete dieser nicht.
Im Januar 2022 reichte die Lehmann Europa das Heim weiter für den dreifachen Preis: 2,4 Millionen Euro. Seitdem gehört das Flüchtlingsheim teilweise einer Berliner Firma, die Kraftwerke im Mittleren Osten, Pumpstationen in Kasachstan und Gasturbinen in Katar baut.
Ex-Hotel in Flecken-Zechlin wird zur Goldgrube – dank des Landkreises
Zurück nach Flecken Zechlin. Schmidtke und Peters kauften das heruntergekommene Objekt für 470 000 Euro. Sie vermieten es weiter an den Landkreis OPR – offenbar für 480 000 Euro Miete im Jahr, andere Quellen sprechen von 504 000 Euro pro Jahr. Unklar ist, ab wann der Mietvertrag läuft.
Der Mietvertrag hat eine Laufzeit von zehn Jahren, was Schmidtke und Peters mindestens 4,8 Millionen Euro Mieteinnahmen bringt. Nach MAZ-Informationen soll der Landkreis zusätzlich eine Million Euro an Peters und Schmidtke für Renovierung und Ausstattung des Heimes gezahlt haben, indem bis zu 150 Geflüchtete beherbergt werden sollen.
Auch hier hat die MAZ beim Landkreis nachgefragt. Er sagt: „Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, den Bau von Flüchtlingsunterkünften durch Investitionshilfen des Landes zu refinanzieren.“
Die Geschäftsleute erhielten über sechs Millionen Euro vom Landkreis
Seit 2015 erhielten die Geschäftsleute vom Landkreis knapp fünf Millionen Euro, mit den Zahlungen an die IJN sind es mehr als sechs Millionen. Die Summen ergeben sich aus Mieteinnahmen aller Heime, die sie betrieben haben, und der Entschädigungen. Gewinne aus Weiterverkäufen sind eine Dunkelziffer, für Einzelheiten siehe Grafik rechts.
Die MAZ hat die Ergebnisse der Recherchen auch Peters und Schmidtke vorgelegt und um Stellungnahme gebeten. Peters teilte mit, die MAZ-Recherchen seien „größtenteils aus der Luft gegriffen und vollkommen falsch, so dass sie jeder Realität entbehren“. Er habe den Eindruck, dass die Recherchen und Fragen Teil einer „Schmuttelkampagne“ seien, und lehne daher jede weitere Stellungnahme gegenüber der MAZ ab.
Die MAZ hat sich auch intensiv um eine Stellungnahme von Schmidtke bemüht und auf mehreren Wegen sowohl per Brief, per E-Mail als auch telefonisch versucht, ihn zu erreichen, allerdings erfolglos. Schmidtke hat auf keine Frage reagiert.
Grafiken: MAZ / Detlev Scheerbarth
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