Wenn Behörden gegen Artikel klagen

Meine Artikel von Ende 2022 sahen handfeste Anzeichen für Korruption im Norden Brandenburgs, im schönen Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Der Landkreis ging dagegen in die Offensive mit ganzen fünf Klagen. Ergebnis bis jetzt: 4,66 Niederlagen.

Mit fünf Verfahren zog der Landkreis ins Feld gegen die Handvoll Artikel, die in der Märkischen Allgemeinen und im Focus Online erschienen. Gegenstand waren die Bevorzugung von zwei Geschäftsleuten bei der Vergabe von Flüchtlingsheimen. Insgesamt flossen über fünf Millionen Euro an die beiden, deren Heime immer Mehrkosten verursachten.

Die Verfahren gingen alle in die zweite oder sogar dritte Instanz, einige werden noch verhandelt. Das kostet vermutlich eine Menge Geld, wieviel will der Landkreis leider nicht sagen. Grob geschätzt könnten es über 30.000 Euro sein.

Mit pubertärer Spitzfindigkeit versuchten die Anwälte Fehler in den Artikeln zu finden – und scheiterten. Fast taten einem die Anwälte Leid. Denn für Ihr Wissen – und ihre Angriffe – mussten sie sich auf ihren Mandanten verlassen. Doch der hatte sie nur unzureichend informiert, teilweise liefen sie ins offene Messer.

Die Vorwürfe der Artikel, unsorgsamer Umgang mit Steuergeld, wurden in den langen Schriftstücken der Anwälte stillschweigend zur Kenntnis genommen. Darum ging es hier nicht, es ging darum, kleine Fehler in den Artikeln zu finden. Es ging darum, sie unglaubwürdig zu machen – leider misslang das komplett.

Unzureichend informierte Anwälte
Als Beispiel: Wenn ich schrieb, “vier Mal kauften die Geschäftsleute Gebäude, die wenige Wochen später zu Flüchtlingsheimen wurden”, so argumentierten die Anwälte, falsch! Das eine Heim da hinten links, das wurde von einer Firma gekauft, die zum Zeitpunkt des Kaufs nicht den Geschäftsleuten gehörte. Also kauften die Geschäftsleute nur drei Mal! Hahaha! Fehler!

Dann musste ich in den vielen Unterlagen wühlen und zeigen, dass die Geschäftsleute besagte Firma gegründet hatten und sie die faktische Geschäftsführung immer behielten, auch wenn es auf dem Papier andere Eigentümer gab. Dass gerade dieser eine Kauf etwas komplizierter war, denn: Das Gebäude wurde ein Jahr zuvor gekauft, von den Geschäftsleuten, das Grundstück aber erst später, von den Partnern der Geschäftsleute. Die Anwälte und der Landkreis taten ganz unschuldig, als würde es Strohmänner und Verschleierung nicht geben.

Dass es komplizierter war als die Anwälte es vortrugen musste der Landkreis wissen. Warum er seine Anwälte unzureichend informiert ins Minenfeld laufen ließ ist ein Rätsel. Hoffte er, dass ich nicht so tief in die Materie geblickt hatte? Dass ich mir nicht genügend Unterlagen besorgt hatte? Oder wusste er es selber nicht so genau?

Mit allen Vorwürfen war es dasselbe: Jeder ließ sich entkräften, dafür musste man aber tief in die Unterlagenkiste greifen, viel tiefer, als der Landkreis es für seine Anwälte getan hatte. Wer in diese Untiefen aus Verträgen, Briefen und anderen Akten blicken will, kann das hier tun: 40 Seiten Materialschlacht, die ich für die Anwälte von MAZ und Focus vorbereitet hatte.

Urteile gingen nur selten auf die Sachlage ein
Die Urteile gingen selten auf die Inhalte der Artikel ein, noch auf die der opulenten Papierbergen aus Verträgen und Insider-Unterlagen, mit denen sich die Anwälte der beiden Seiten vor den Richter:innen prügelten.

Die Gerichte meinten entweder habe der Landkreis zu spät geklagt, oder als Behörde müsste er sich Kritik gefallen lassen denn es gehöre nun mal zu den Aufgaben der Presse, Behörden kritisch zu hinterfragen und zu kontrollieren.

Immer wieder versuchte der Landkreis Ehrenschutz wie es einer Privatperson zusteht für sich geltend zu machen, wozu alle Gerichte meinten, Ehrenschutz wie für eine Person steht einer Behörde nicht zu, denn sie sei nun mal keine Person. Stimmt eigentlich – ein Amt ist kein Mensch. Muss man dafür Gerichte bemühen, um das festzustellen? Oder gibt es Personen im Landkreis, die sich für diesen halten und frei nach dem französischen Sonnenkönig, Ludwig dem XIV., ganz herrschaftlich meinen: “Le Landkreis, c’est moi!”

Auszug aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20.1.23

Sogar mit der Rechtsstaatskeule wedelten die Richter, ähnlich wie mit einem Zaunpfahl, allerdings in Richtung Landkreis: Die Verwaltung “in gewissem Umfang zu kontrollieren gerade zu den ureigensten Aufgaben der Presse im Rechtsstaat gehört”, meinten die Richter:innen aus Brandenburg an der Havel am 8. Februar. Sie legten nach: Das sei “durch den Antragsteller (A.d.R.: der Landkreis) hinzunehmen”.

Hier der komplette Auszug aus dem o.g. Urteil des OLG Brandenburg:

Auszug aus dem Urteil des OLG Brandenburg vom 8.2.23

Gerade der Landkreis, als Teil des besagten Rechtsstaates, müsste eigentlich wissen, dass er Teil eines Rechtsstaates ist. So weit vom Schuss ist Ostprignitz-Ruppin auch nicht…

Das große Rätsel: Warum griff der Landkreis überhaupt an?
Merkwürdig ist, dass der Landkreis überhaupt juristisch gegen die Artikel vorging.

Erstens bedeutet es, dass der Inhalt ihn störte. Er gab sich also eine Blöße, anstatt souverän darüber zu stehen und sie zu ignorieren.

Zweitens: Ab dem Moment wo er angriff, musste er erfolgreich sein, er setzte sich unter Siegzwang. Denn Verlieren würde bedeuten, dem Landkreis sind die Tatsachen unangenehm, aber sie stimmen.

Drittens: Die Lokalpresse kämpft ums Überleben. So ein juristischer Angriff, auch wenn er siegreich überstanden wird, kostet einer Tageszeitung wie die MAZ kostbare Zeit und Nerven. Eine Behörde wie ein Landkreis hat viel mehr Mittel als eine Lokalzeitung, es ist ein ungleicher Kampf. Die Landkreisverwaltung wie die OPRs besteht aus knapp 1.000 Mitarbeitenden, die OPR-Lokalredaktion der MAZ hat rund fünf Angestellte.

Zusätzlich gehört laut Medienanstalt Berlin-Brandenburg die Ostprignitz-Ruppin zu den drei Landkreisen Brandenburgs, die am schlechtesten medial versorgt sind. Die zwei anderen sind die Prignitz und Elbe-Elster. Es gibt die MAZ und die MOZ, die jeweils ein bis zwei Seiten für lokale Berichte führen. Kein Vergleich mit Berlin, wo fünf Tageszeitungen sich mit lokalen Inhalten überbieten. Natürlich kann meine eine Millionenstadt nicht mit einm Landkreis vergleichen, in dem rund 100.000 Menschen leben.

Aber: Wenn man schon das dünne mediale Angebot zusätzlich einschüchtert, mit Klagen niederknüppelt und zähmen will, um als solche wahrgenommene “Majestätsbeleidigungen” zu verhindern, oder jede Form von Kritik, tut man sich und der Bevölkerung einen Gefallen? Lebt ein Land wie Deutschland nicht gerade vom freien Meinungsaustausch? Zeigt man dadurch nicht, dass man Angst hat vor Meinungen, vor offenen Debatten, vor Transparenz?

Viertens: Sollte eine Behörde ihre beträchtlichen Mittel gegen Pressefreiheit einsetzen? Was für ein Bild entsteht dadurch, wenn eine Behörde keine Kritik aushält? Zumal der juristische Angriff sich auf Detailfragen konzentriert und die eigentlichen Vorwürfe vollkommen außer Acht läßt. Vor lauter Bäumen scheint der Landkreis den Wald nicht zu sehen.

So scheint vollkommen egal zu sein, dass man ohne zwingenden Grund Geschäftsleuten Ablösen in Höhe von 1,6 Millionen Euro zahlte. Egal, dass der Landkreis die dreifache Miete für eine Immobilie zahlte, weil er sie nur über die Geschäftsleute mieten wollte, aber nicht direkt vom Eigentümer… usw.

Aber nicht egal, dass man darüber berichtet. Schnell noch mehr Geld ausgeben, damit man nicht darüber berichten darf und die Artikel vom Netz genommen werden.

Stolpernder Stürmer: Fünf Angriffe und 0,33 Siege
Bisher blitzte der Landkreis 4,66 Mal ab und 0,33 Mal erhielt er Recht. Bei Streitwerten um die 50.000 Euro kostet ein Verfahren in der 2. Instanz alles inklusive etwas über 6.000 Euro, insgesamt könnten die Verfahren 20.000 oder 30.000 Euro kosten, vielleicht mehr, wenn die Anwälte des Landkreises auf Stundenbasis arbeiten. Wieviel der Spaß genau kostet weiß nur der Landkreis. War dieser Ausflug zu den Gerichten das viele Geld Wert?

Die Urteile zum Download
Wer sich die Mühe antun will, kann gerne selber die Urteile nachlesen:

Das letzte Urteil ist interessant, da es dem Landkreis zu einem Drittel recht gibt. Allerdings bei einem Nebenschauplatz: Ob man schreiben dürfe, die Pressestelle des Landkreises hätte anfragen ignoriert. Hier wurde berufen. Gegen das Urteil von Frankfurt am Main hat der Landkreis berufen, man wartet auf das neue Urteil.

Zusatz Montag 20.3.23, 18.20 Uhr
Wie der Zufall so will kam das neue Urteil vom Oberlandesgericht Frankfurt heute Nachmittag, kurz nachdem ich den Post hier geschrieben hatte. Hier ist es:

Von allen sechs Urteilen geht es am meisten auf den Inhalt ein und wiederlegt die Darstellungen des Landkreises Punkt für Punkt.

Foto oben: Landgericht Frankfurt am Main, von Mylius – Eigenes Werk, GFDL 1.2, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17145030


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