Feedback zur Korruptions-Show

Meine Eindrücke der JIVE-Shows in Berlin und Hamburg, bei der ich meinen Lieblings-Korruptionsfall in Brandenburg auf der Bühne erklärte. In Hamburg führte die gesamte Show, vier Geschichten von vier Journalist:innen, zu Beiträgen in der taz Nord und im NDR Kulturjournal.

Beitrag im NDR-Kulturjournal über JIVE von Benedikt Bathe:


Korruption auf der Bühne, gefällt das?

Foto: Jörg Farys, Säälchen, am 14.6.2025, Berlin

Also Korruption in Brandenburg, das gefiel dem Publikum. Nicht, dass es sich darüber freute. Im Gegenteil, es war erschrocken. Vor allem, weil die eindeutige Geschäftemacherei mit Flüchtlingsheimen im Landkreis Ostprignitz-Ruppin – trotz vieler Berichte – einfach weitergeht. Zu diesem Vorgang habe ich 2022 in der MAZ und im Focus Online veröffentlicht, in 2024 in der Berliner Zeitung und der Super Illu.

Anders als in meinen Artikeln, wo ich Fakten schildern will, der, die oder das Leser:innen sollen sich dann ihre Meinung bilden, ging ich bei der JIVE-Show anders vor. Im Theater will das Publikum nicht in Fakten und Zahlen ertrinken, also habe ich mich auf die Auswirkungen einer geduldeten – oder sogar geschützten Korruption – konzentriert.

Titelbild: Agentur Gretchen, Josephine Kähler

Mein Beitrag hieß “Dallas in Neuruppin”. Der Titel kam nicht von mir, sondern von einem Interviewpartner, dessen Zitat meinen Part eröffnete. Er wollte sein Gasthaus 2014 als Unterkunft der Landkreisverwaltung für 6.000 Euro im Monat vermieten, doch die lehnte ab. 2015 verpachtete er sein Gasthaus für 5.000 Euro im Monat, der Pächter vermietete das Gasthaus als Unterkunft dem Landkreis… für 21.000 Euro im Monat. Der Interviewpartner urteilte hart über seine Gegend: “Wo ist denn da Gewaltenteilung, wo ist denn da Transparenz, irgendeine Form von Rechtspflege… da ist gar nüscht hier… das ist der wilde Westen, das ist wie Texas, das ist Dallas in Neuruppin.”

Audio: Bewohner der Ostprignitz-Ruppin meint, es sei der wilde Westen

Aufnahme Adrian Garcia-Landa, November 2023

Steile These: In der Gegend um Neuruppin, dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin, würde zumindest in diesem Fall der Rechtsstaat nicht mehr funktionieren. Das wollte ich in meinem Beitrag prüfen und lehnte mich an die Kultserie der 80er an. Aber anders als bei Dallas ging es nicht um texanisches Öl, sondern um Steuergeld. Das pumpte man nicht aus dem System mit Bohrtürmen, sondern mit Flüchtlingsunterkünften.

Zu einer funktionierenden Demokratie gehört meiner bescheidenen Meinung nach eine Reihe von Grundprinzipien. Bürgerbeteiligung, sorgsamer Umgang mit Steuergeldern, parlamentarische Kontrolle, Pressefreiheit, Transparenz und nicht zuletzt Zuständigkeit. Das letzte Prinzip klingt banal, aber es ist wesentlich für jeden Staat: Es bestimmt, welche Behörde für was zuständig ist. Nach und nach würden alle diese Prinzipien umfallen – wie gesagt, in diesem Fall.

Video: Die Pressefreiheit wird weggekickt (Anm. finde ich nicht gut!)

Video: Jochen Markett, aufgenommen am 18.6.25 im Kampnagel, Hamburg

A propos Transparenz: Die Plattform frag den Staat probierte Einsicht in die Verträge der Flüchtlingsunterkünfte zu nehmen, bemühte sechs Monate alle Transparenz-Gesetze Brandenburgs, vergeblich. Im Interview meinte der Projektleiter Arne Semsrott, der “Landkreis hat gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen”. Diese Aufnahme konnte ich mangels Zeit nicht auf der Bühne vorspielen, das hole ich hier nach.

Audio: Frag den Staat zum Verstoß gegen Transparenz-Gesetze durch den Landkreis Ostprignitz-Ruppin:

Quelle: Interview mit Projektleiter Arne Semsrott, A. Garcia-Landa, Aug. 2023


Behörde brachte die Lokalpresse zum Schweigen

Besonders, dass die Behörden gegen kritische Artikel gerichtlich vorgingen, erfreute das Publikum nicht. Gegen meine Artikel von 2022 klagte die örtliche Behörde fünf mal, verlor aber auf ganzer Linie und bis in die letzte Instanz. Die noslapp-Stelle wertete das Vorgehen der Behörden als Versuch der Einschüchterung gegen einen freiberuflichen Journalisten.

Auch wenn die Behörde vor Gericht unterlag, erreichte sie ihr Ziel: Die Lokalpresse stieg aus dem Thema aus, wie die Redaktionsleitung der MAZ bei einer öffentlichen Veranstaltung bestätigen sollte. Sinngemäß meinte diese, sie legten sich da mit einer Behörde an, die über ganze Rechtsabteilungen verfügte, da könnten sie nicht mithalten, das könne Lokaljournalismus nicht leisten.

Redaktionsleistung der MAZ: “Mussten aus dem Thema aussteigen”

Aufnahme: Adrian Garcia-Landa bei einer öff. Veranstaltung zu Medien im ländlichen Raum, 26. Okt. 2023, Kyritz an der Knatter

Besonders mit der Rolle des RBB müsste man sich näher beschäftigen, da er zwar über den Vorgang berichtet, allerdings selektiv. Die kritischen Aspekte der Anmietung von Flüchtlingsunterkünften im Landkreis Ostprignitz-Ruppin sucht man auf der RBB-Webseite vergeblich. Dass seit 10 Jahren immer wieder eine Gruppe von Geschäftsleuten zum Zug kommt, diese eklatant bevorzugt werden, Millionen an Steuergeldern erhält, einige von ihnen wegen Betrug und Urkundenfälschung vorbestraft sind und dass die Bewohnerinnen auf ihre vielen Fragen keine Antworten bekommt – das wird de facto unterschlagen. Dafür gibt es Berichte über den Fortschritt von Bauarbeiten an geplanten Unterkünften oder über den Diebstahl von Regenrinnen an Kirchen.

Das Fazit des Beitrages war: Das Decken von Korruption untergräbt die Glaubwürdigkeit in die Politik und treibt Wähler:innen zu Protestparteien. Eine Bewohnerin schildert das so:

Audio: Aus Protest die AfD wählen, ohne Rücksicht auf Verluste

Audio-Aufnahme: Adrian Garcia-Landa, November 2023, Landkreis OPR

Meine Überzeugung ist, ginge man kompromisslos gegen Korruption vor, sähen die Wahlergebnisse in Brandenburg anders aus.

Zur Erinnerung: Bei den Kreistags-Wahlen im Juni 2024 im Landkreis Ostprignitz-Ruppin wurde die AfD die stimmenstärkste Partei, ohne dass sie im Kreistag eine besondere Arbeit leistete. Das kann ich sagen, ich war seit Veröffentlichung meiner Artikel bei allen Kreistagssitzungen bis auf einer dabei. Bei den Landtagswahlen (Sep. 24) erreichten die Kandidaten der AfD den ersten und zweiten Platz, das BSW kam ohne Kandidat auf rund 12 % der Zweitstimmen. Bei der Bundestagswahl (Feb. 25) erreichte der Kandidat der AfD rund 36 % und hatte einen Vorsprung von 15 bis 20 Punkten auf SPD und CDU. Ich glaube, es gibt einen Zusammenhang zwischen solchen Korruptionsfällen, von denen dieser ein besonders gravierender ist, aber kein Einzelfall, und dem Erfolg von Protestparteien.

Ergebnisse Bundestagswahl 2025 im Wahlkreis 56 Prignitz, OPR, Havelland I:

Quelle: Landeswahlleitung Brandenburg

Persönliches Fazit

Ich fazitiere persönlich selten, da ich lieber meinen Geschichten den Vortritt überlasse. Aber auf einer Bühne ist es schwer, Botschaft und Botschafter zu trennen. Für mich war die Gelegenheit, das Thema an dem ich seit drei Jahren arbeite, im Rahmen der JIVE Show zu zeigen, eine Mischung aus Segen und Herausforderung.

Die Geschichte ist diplomatisch ausgedrückt nicht leicht unterzubringen, gleichzeitig liegt mir viel daran, Fakten zu schildern und keine Position zu beziehen, so gut das geht. Bei der JIVE-Show konnte ich einerseits das Thema einem breiteren Publikum vorstellen, das fand ich toll, musste aber stark von meiner Methode abweichen, das fand ich weniger toll. Einen sehr komplexen Vorgang, der sich über 10 Jahren streckt, auf eine halbe Stunde zu kondensieren, zu komprimieren, oder wie ich es anfangs wollte, zu quetschen, ist unmöglich. Vor allem fehlte es mir eklatant an Bühnenerfahrung und dem damit verbundenen Wissen, was bei einer Darbietung erzählerisch geht und was nicht.

Aber dank der hervorragenden Betreuung des JIVE-Teams funktionierte es. Mir wurde eine Redakteurin, Sprechcoachin und Dramaturgin zur Seite gestellt. Am Anfang dachte ich, hilfe, ich werde bis zum geht nicht mehr durchgecoacht! Rückblickend bin ich jedoch dankbar – und vor allem das Publikum sollte es sein. Ich hätte es sonst mit Fakten, Zahlen, Unterlagen und Aussagen begraben, am liebsten drei Stunden lang. Natürlich hätte ich die Türen des Saales zusperren lassen und muskelbepackte Security hätten mit bösen Blicken den Zuschauern verdeutlicht: Sitzplatz verlassen ist keine gute Idee, aufmerksam zuhören ist alternativlos.

Von daher spreche ich hier in alle Ewigkeit (oder eine halbe Ewigkeit, die ganze Ewigkeit finde ich gerade nicht) einen großen Dank an das JIVE-Team aus, allen voran Sylvie Kürsten (Redaktion), Isabelle Feldwisch (Sprechcoaching) und Catherine Schumann (Dramaturgie). Natürlich auch an die Personen, die JIVE ins Leben riefen: die Gründer der headliner gUG Christine Liehr (aka Queen Liehr, hahaha, Lachen tut so gut ;), Jochen Markett und Christoph Herms. Und nicht zuletzt einen großen Dank an das Stegreif-Ensemble, die Impro-Band, die musikalisch die Shows begleitete.

Anm.: Alle Medien auf diesem Post sind urheberrechtlich geschützt.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert